Irresistin
Was muss eine Substanz mitbringen, um als ideales Antibiotikum zu gelten? Optimalerweise ist es gleichermaßen effektiv gegen gram-positive und gram-negative Bakterien, resistent gegen – Achtung Wortspiel – Resistenzen, günstig herzustellen, nebenwirkungsarm (oder gar ‑los) und vielleicht sogar noch mit einem Backup-Wirkmechanismus versehen, um den entsprechenden Erreger auch garantiert erfolgreich zu bekämpfen. Zu schön um wahr zu sein? Nix da!
Forscher berichten in einer brandneuen Studie von einer Substanz, die all diese Parameter erfüllt: Irresistin – bei diesem Namen ist es kein Wunder, dass dem Antibiotikum niemand widerstehen kann.
Pfeil und Bogen
Ganz besonders macht Irresistin dabei dessen dualer und voneinander völlig unabhängiger Angriffsmechanismus. So stört das Antibiotikum zum einen den Folsäuremetabolismus (auch als Vitamin B9 bekannt) und zum anderen die Bakterienmembran. Während Ersteres dazu führt, dass Bakterien keine Folsäure mehr produzieren können und damit auch keine Nukleinsäuren mehr für ihre DNA, führt die Störung der bakteriellen Membran dazu, dass die osmotische Schranke sowie der Kontrolleur von Stoffen (zum Ein- und Austritt) nicht mehr richtig funktioniert. Egal welcher Mechanismus nun wirkt, in beiden Fällen kommt es zum selben Endergebnis: Die Bakterienzelle wird irreparabel geschädigt. Da das Ganze etwas schwer greifbar bzw. vorstellbar ist: ein Vergleich.
Wohl ein jeder von uns kennt Robin Hood…
Der Pfeil, den der Rächer der Enterbten abschießt, ist mit einer Spitze versehen, die die Schutzhülle (beim Menschen: Haut bzw. Kleidung und Rüstung; bei Bakterien Zellmembran) durchbohren kann. In den meisten Fällen reicht dies aus, um den gewünschten Effekt zu erzielen und den Angreifer abzuwehren.
Jedoch kann auch der Beste einmal daneben schießen und ein Streifschuss kann zwar die äußere Barriere beschädigen, wird wohl kaum genug Schaden anrichten, um den Feind zu besiegen.
In diesem Fall hat es sich bewährt, die Pfeilspitze in Gift zu tränken. Auch Fehlschüsse werden so plötzlich sehr ungemütlich.
Im Falle von Irresistin symbolisiert die Störung der Zellmembran den Pfeil und die hemmende Wirkung auf die Folsäuresynthese das dazu passende Gift für den Fall, dass die Durchbohrung der äußeren Schutzschicht alleine nicht ausreicht.
Der ewig währende Kampf
Vermutlich auch wegen diesem dualen Mechanismus von Irresistin, konnten dessen Entdecker durch diverse Tests keinen einzigen Resistenzmechanismus provozieren. Trotzdem können Resistenzen in Zukunft nicht ausgeschlossen werden – die Abwesenheit von etwas zu beweisen ist eine Herausforderung für sich.
Nichtsdestotrotz, die Werte von Irresistin sind überzeugend. Dessen duale Aktivität, die geringen Raten, in denen Bakterien Resistenz entwickeln (insbesondere im Vergleich zu anderen bekannten Antibiotika) sowie seine Effektivität gegen gram-positive und gram-negative Vertreter wurde bereits untersucht und lassen auf ein vielversprechendes Antibiotikum hoffen. In Labor-Versuchen konnte sogar eine abtötende Wirkung gegen Acinetobacter baumanii – einem Keim der ESKAPE Gruppe nachgewiesen werden!
Es geht kaum noch besser… oder?
Wer mehr erfahren möchte kann hier in der Originalstudie nachlesen James K. Martin II et al. 2020.