Fortpflanzung auf einer anderen Ebene
Zeit die Hosen runterzulassen und sich den wirklich wichtigen Dingen zu widmen: der Fortpflanzung der Bakterien. Privatangelegenheit? Eigentlich schon… aber es geschieht auch rund um die Uhr auf uns, in uns und direkt vor unseren Augen (Achtung — nur ab einer 1000-fachen Vergrößerung sichtbar) — von einem Bruch der Privatsphäre kann da also keine Rede sein.
Aber zur Wissenschaft: Die eigentliche Vermehrung der Bakterien beruht auf Zellteilung. Dabei verdoppeln sich alle Organellen und das Bakterium teil sich in zwei identische Zellen – beide Bakterienzellen beinhalten also auch die identische genetische Information inklusive diverser Antibiotika-Resistenzen beispielsweise.
Die Fortpflanzung der Bakterien — ein Gedankenspiel
Spricht man in der Mikrobiologie von Wachstum, so ist nicht die Zunahme der Größe der Bakterien gemeint, sondern die Zunahme ihrer Zellzahl. Die Rede ist also von der Vermehrung. In diesem Zusammenhang fällt auch gerne der Begriff Generationszeit, was im Grunde genommen nichts anderes beschreibt, als die Zeit, die eine Bakterienpopulation benötigt, um ihre Zahl zu verdoppeln. Manche Bakterien – wie beispielsweise E. coli (einer unserer natürlichen Darmbewohner; siehe …) – teilen sich bei optimalen Bedingungen alle 20–30 Minuten. Bewohner von Schnee und Eis können dafür schon einmal Jahre brauchen. Allerdings ist das Abschätzen der Generationszeit in der Natur deutlich schwieriger – die Verdopplung dauert jedoch mit Sicherheit länger als unter kontrollierten Laborbedingungen.
Ein Gedankenspiel: Eine gegen Nitrofurantoin resistente Bakterienzelle verdoppelt sich alle 30 Minuten durch Zellteilung und lebt in einer perfekten (mikrobiellen) Welt ohne Tod oder Nährstofflimitierung. Innerhalb eines einzigen Tages gäbe es dann ungefähr 3^14 Bakterienzellen, die ein Resistenzgen in sich tragen und dieses über bakterielle Konjugation auch (an andere Arten) weitergeben können! Nochmals als Zahl: 4 782 969 Zellen – das ist mehr als die Hälfte der in Österreich lebenden Menschen…
Kurz sickern lassen, durchschnaufen und weiter im Text.
Konjugation und mehr
Auch wenn Konjugation, Transformation und Transduktion in erster Linie nicht wahnsinnig spannend klingen – so sind sie es eigentlich doch. Es handelt sich dabei um DNA-Übertragungswege, ohne dass sie zum bakteriellen Wachstum beitragen. Sie stehen dem Begriff der Fortpflanzung also in gewisser Weise nah.
Beispiel Konjugation: Sie ermöglicht es Bakterien, genetische Information (z.B. Resistenzgene, welche meist auf einer zusätzlichen ringförmigen DNA – genannt “Plasmid” – gespeichert sind) über die Artengrenze hinweg auszutauschen. Wie funktionierts? Nehmen wir den Prozess – trotz erneuter Privatsphäre-Bedenken – genauer unter die Lupe. Wir benötigen zwei Bakterienzelle, wovon eine ein Plasmid und einen sogenannten Pilus (Struktur auf der Zelloberfläche – wird gerne auch als „Sex-Pili bezeichnet) besitzt und somit als Spenderzelle fungiert. Über diese filamentöse Struktur wird dann eine Brücke zwischen zwei Zellen hergestellt – es entsteht ein Zell-zu-Zell Kontakt. Mithilfe der Zelleigenen Enzyme wird nun das Plasmid verdoppelt und transferiert, wodurch zwei neue „Spenderzellen“ entstehen.
Tatsächlich gibt es aber auch einige Regeln, an die sich die Bakterien halten müssen, denn Plasmid ist nicht gleich Plasmid. So können manche DNA-Strukturen nur zwischen nah-verwandten Arten ausgetauscht werden, manche auch gar nicht. Einige wenige Plasmide können allerdings sogar zwischen Bakterien und Pilzen übertragen werden.
Unabhängig davon gibt es noch die erwähnten Prozesse der Transduktion und Transformation. Bei Letzterem wird freie, “nackte” DNA von der Zelle aufgenommen. Bei der Transduktion mischen sich Viren in die eigentlich private Angelegenheit ein, indem sie DNA von einer Bakterienzelle aufnehmen und in eine neue injizieren.
Alles in allem sehen wir, dass auch wenn die bakterielle Vermehrung auf der “einfachen” Zellteilung beruht, genetisches Material ebenso über andere Wege verbreitet werden kann. Diese Prozesse sind ganz besonders dann zu beachten, wenn wir beispielsweise von Prozessen wie der der Verbreitung von Antibiotika-Resistenzgenen sprechen und dürfen keinesfalls außer Acht gelassen werden, wenn ein solches globales Problem in Angriff genommen werden soll.