Einleitende (Fach-)Worte
In Zeiten wie diesen werden die Nachrichten überschwemmt von Fachausdrücken aus der Wissenschaft im Allgemeinen bzw. aus Virologie und Epidemiologie im Speziellen. Aus aktuellem Anlass wollen wir uns nun diesem Thema widmen und einigen Fachtermini (https://www.duden.de/rechtschreibung/Fachterminus) auf den Zahn fühlen. Eines vorweg — einen einzigen Viruspartikel bezeichnet man in Fachkreisen als Virion! Merken! Jetzt! Wird überprüft!
DNA, RNA, tralalalalala
Der neuartige Coronavirus hält die Welt in Atem und dominiert dementsprechend aktuell die Medienlandschaft. Einigen von Ihnen ist in diesem Zusammenhang vielleicht auch schon der Begriff der RNA-oder gar der +ssRNA Viren untergekommen. Das klingt zwar erstmal super-kompetent und wissenschaftlich — so recht etwas damit anzufangen weiß aber erstmal kaum jemand — selbst der Duden ist mit seinem Latein bei solchen Fachtermini am Ende. Um zu verstehen was RNA-Viren sind, holen wir erstmal ganz weit aus und befassen uns mit dem molekularbiologischen Teil: der RNA. Die RNA — in Deutsch ab und an auch gern unschön als RNS abgekürzt — ist die Kurzform für Ribonukleinsäure. Man könnte sie als nahe Verwandte der DNA (Desoxyribonukleinsäure, unser “Erbgut”) ansehen, da sich auch ihre Bausteine sehr ähneln. Jedoch gibt es zwischen den beiden Molekülketten einige Unterschiede. Abgesehen von Variationen in der chemischen Struktur einiger Bestandteile, liegt die DNA meist als sogenannter Doppelstrang vor (Sie kennen bestimmt das Bild der ineinander verschraubten DNA-Stränge), wohingegen ein RNA Strang meist auf sich allein gestellt ist.
So traurig das im ersten Moment klingen mag — die RNA erfüllt dafür eine Vielzahl an Funktionen, wohingegen die DNA primär nur Information speichert. Die vermutlich wichtigste Aufgabe der RNA ist übrigens das Übersetzen der genetischen Information in Proteine. Kurz zusammengefasst funktioniert das wie folgt: ein Segment der DNA wird in einem Prozess namens Transkription umgeschrieben zu einer sogenannten mRNA (messenger RNA), welche dann mithilfe von rRNA (ribosomale RNA) und tRNA (Transfer-RNA) in die finale Proteinkette übersetzt wird (= Translation). Die mRNA enthält also die “message” aus der ursprünglichen DNA in einer in weiteren Folge lesbaren Form. Die anderen beiden RNA-Formen sind dann an der Synthese des Endprodukts beteiligt.
Wir wissen nun also, dass die RNA in der Regel verschiedene Aufgaben übernimmt, die DNA genetische Information speichert. Was hat es nun aber mit den RNA-Viren auf sich?
RNA-Viren
Spoiler-Alarm: RNA-Viren sind die Ausnahme von der Regel. Sie besitzen ihrem Namen entsprechend keine DNA und speichern daher (gezwungenermaßen) jegliche genetische Information in Form von RNA ab. Das Gute für die Viren (und schlechte für uns und andere potentielle Wirte): RNA ist aufgrund der fehlenden “Korrektur-Lese-Funktion” des Enzyms RNA-abhängigen-RNA-Polymerase (einfacher zu verstehen als RNA Replikase; produziert neue RNA anhand einer RNA-Vorlage), um ein Vielfaches variabler als DNA. RNA-Viren produzieren durch diese häufigen Mutationen zwar auch viele defekte, nicht-infektiöse Partikel, können sich aber auch schneller an neue Wirte oder Zwischenwirte anpassen bzw. der Immunantwort entgehen.
Prinzipiell wäre die Sache also geklärt… RNA-Virus = Virus, das gern Regeln bricht und Erbinformation auf der RNA anstatt der DNA speichert. Wären da nicht noch verschiedene zusätzliche Zeichen die in der Klassifizierung von RNA-Viren verwendet werden wie beispielsweise das “+ss” im Fall des Coronavirus.
Virologen stützen sich liebend gerne auf ihr sogenanntes Baltimore-Schema, welches Viren in sieben Gruppen einteilt (Baltimore I‑VII… ja de Nomenklatur ist etwas eintönig). Die Gruppen III‑V umfassen dabei — Sie ahnen es — die RNA-Viren.
Baltimore Gruppe III beinhaltet alle Doppelstrang-RNA-Viren… Moment… WAS??? Gerade eben noch gelernt, dass RNA eigentlich immer als Einzelstrang vorliegt (zumindest langfristig), schon wird das ganze Wissen wieder auf den Kopf gestellt. Deswegen wollen wir uns auch gar nicht mehr weiter mit dieser Gruppe beschäftigen — ist ja anstrengend, sich immer um die Problemkinder zu kümmern.
Baltimore Gruppe IV umfasst alle +ssRNA-Viren (also auch die Gruppe der Coronaviren). Was heißt das nun im Detail? Die beiden “s” stehen für single-stranded — also einzelsträngig, womit wir wieder bei der uns vertrauten Form der RNA wären. Das “+” zeigt die Orientierung der RNA an. Glücklicherweise gibt es nur zwei Richtungen (+ und -). Was hat denn aber nun die Orientierung mit Erbinformation zu tun? Erinnern Sie sich daran, worin die DNA zuerst übersetzt werden muss, um in weiterer Folge erfolgreich Proteine zu bilden? Richtig! In mRNA. Das Tolle an +ssRNA-Viren? Die Basenabfolge ihres Genoms entspricht bereits genau der späteren mRNA. Und das wiederum bedeutet…? Viren sind faul. Nein im Ernst, sie sind wirklich faul, aber um es auf den Punkt zu bringen: das Genom der +ssRNA-Viren ist im Prinzip ident mit der späteren mRNA. Folglich kann direkt mit der Produktion neuer Proteine begonnen werden. Kein lästiges Umschreiben der genetischen Information in mRNA erforderlich. Ich sag ja, sie sind faul…
Mit der Antwort auf die Frage der Orientierung ist eigentlich auch schon fast alles zur Baltimore Gruppe V gesagt. Diese beinhaltet nämlich ‑ssRNA-Viren. Wir wissen, wofür die beiden “s” zu stehen und wir wissen, dass “+” orientierte Viren ihre Erbgut direkt als mRNA verwenden können. Was bedeutet das also für Negativ-Strang-RNA-Viren? Na? Kommen Sie von alleine drauf? Ein Tipp, stellen Sie sich diesen sogenannten “Minusstrang” als DNA vor. Was ist der erste Schritt von Erbinformation zum Protein? Richtig… die Transkription! Puh… geschafft. Zu den ‑ssRNA Viren zählen übrigens die Erreger der echten Grippe.
Viren sind faul!
Nochmals zu dem Punkt Viren sind faul. Wie faul sie sind, zeigt sich schon einmal darin, dass sie sich nicht einmal selbst vervielfältigen, sondern die Arbeit immer schön auf die infizierten Zellen abschieben.
Extrembeispiel +ssRNA Viren. Diese Partikel bringen nun absolut gar nichts mit in die Arbeit als schlechte Laune und ihre RNA. Diese dient bereits — wie wir gerade gelernt haben — als mRNA zur Herstellung von viralen Proteinen, aber auch als Vorlage zur Synthese einer komplementären (also genau gegensätzlichen) Minusstrang-RNA (mithilfe derer wieder neue Plusstrang-RNAs hergestellt werden, welche wieder als mRNA oder als Vorlage neuer Minusstrang-RNAs dienen, mithilfe derer wieder… ich glaub Sie verstehen). Der Clou an der Sache ist aber, dass all diese Aufgaben die hauseigenen Enzyme der infizierten Zellen übernehmen (Anm. alle bis auf die, der bereits erwähnten RNA-abhängigen-RNA-Polymerase, welches bei +ssRNA-Viren aber immerhin zuerst von den Systemen der befallenen Wirte hergestellt wird). Ich kann mich also nur wiederholen — Viren sind faul.
-ssRNA-Viren sind da schon fast Streber dagegen. Sie bringen das eigene Transkriptase-Molekül wenigstens gleich selbst mit in die Wirtszelle, da die Enzyme der infizierten Zelle sonst nichts mit der Minusstrang-RNA anzufangen wüsste.
Die virale Replikation
Letztes Kapitel — versprochen. Wir wissen, Viren sind streng genommen keine Lebewesen, da sie nicht dazu in der Lage sind, einen eigenen Stoffwechsel zu betreiben, geschweige denn sich selbstständig fortzupflanzen/zu replizieren (siehe Abschnitt “Viren sind faul!”).
Kurz zusammengefasst umfasst die virale Replikation 5 Schritte und beginnt mit dem Anheften des Virions (ich sag ja es wird geprüft!) an die Wirtszelle — wohlgemerkt ohne vorher höflich zu fragen.
Anschließend kommt es zur Penetration/Injektion des Virus-Partikels oder seiner Nukleinsäure in die infizierte Zelle — spätestens jetzt würde es die Höflichkeit gebieten mal zu fragen, ob überhaupt Besuch empfangen wird.
Im nächsten Schritt ist das Virus dann so dreist und manipuliert die Wirtszelle auch noch so, dass von nun an bevorzugt virale Bestandteile hergestellt werden… Faulheit siegt.
Nachdem viele neue virale Proteine und Genome hergestellt wurden, müssen diese pubertierenden Partikel zu fertigen Virionen zusammengesetzt werden und reifen (dieser Prozess wird tatsächlich als Reifung bezeichnet).
Im fünften und letzten Schritt erfolgt die Freisetzung der neuen Virus-Partikel (mittlerweile einige wenige bis einige Tausende!) durch die Lyse der Wirtszelle. Das Virus hat sich also nicht nur unhöflich verhalten, sondern schlussendlich auch noch eine ordentliche Sauerei hinterlassen und die befallene Zelle zerstört… vorbildliche Gäste!
Braver Virus!