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Abenteuer Arktis — Einblicke in eine Forschungsexpedition

Forschungsexpedition

1000 km südlich des Nordpols

Stil­le. Das ver­trau­te Knir­schen von Eis­kris­tal­len, die unter den Schrit­ten bre­chen. Das sanf­te Plät­schern von Was­ser, das sich einen Kanal durch die Glet­scher­ober­flä­che gebahnt hat. Sonst Stil­le. Mit einem brei­ten Grin­sen im Gesicht erreicht unser Team ein wind­ge­schütz­tes Pla­teau auf dem Midt­re Lovén­breen – wir waren am Ziel. End­lich Spitz­ber­gen, end­lich wie­der Ark­tis, end­lich wie­der Expe­di­tio­nen und Feld­ar­beit für unse­re aktu­el­len Pro­jek­te an einem ein­zig­ar­ti­gen Fle­cken Erde.

Etwa 1000 km süd­lich des Nord­pols, auf den Glet­schern von Ny-Alesund fin­den wir für ins­ge­samt zwei Wochen unser Zuhau­se in einem For­scher­dorf, wel­ches umge­ben ist von Glet­scher­eis, das teil­wei­se bis in das Meer reicht. Aber auch hier zeigt sich die beacht­li­che Wir­kung des Kli­ma­wan­dels. Selbst auf 79° Nord schrump­fen die eis­be­deck­ten Flä­chen von Jahr zu Jahr auf dra­ma­ti­sche Art und Weise.

Trotz­dem – die Aus­bli­cke spek­ta­ku­lär. Das Leben ent­schleu­nigt. So anders sind die­se zwei Wochen im Ver­gleich zum hek­ti­schen All­tag in der Zivi­li­sa­ti­on. Handy-Empfang gibt es kei­nen. WLAN, Blue­tooth und Co. sind ein Fremd­wort und trotz­dem funk­tio­niert die Welt. Schön zu wis­sen, dass man sein Glück auch ohne Insta­gram, Face­book, Net­flix und Co fin­den kann.

Mit den Gedan­ken wie­der zurück am Glet­scher macht sich unser Team an die Arbeit – Eis­ker­ne boh­ren, Schmelz­was­ser sam­meln, Schnee und Eis abkrat­zen. Gespro­chen wird ver­gleichs­wei­se wenig. Irgend­wie scheint ein jeder von uns ein­fach im Moment ange­kom­men zu sein.

Soweit die Füße tragen

Was sich anhört und irgend­wie auch anfühlt wie Urlaub war es aber kei­nes­wegs. Spä­tes­tens alle 2 Tage geht es mit schwe­rem Gepäck (65 L Ruck­sä­cke) und Sicher­heits­aus­rüs­tung rund 15–20 km zu Fuß hin­aus auf die Suche nach Plas­tik, Antibiotika-Resistenzen und poten­zi­ell krank­heits­er­re­gen­den Mikro­or­ga­nis­men im Eis. Die Schön­heit des bei­na­he unbe­rühr­ten Fle­cken Erde und die fan­tas­ti­sche Infra­struk­tur in Ny-Alesund las­sen einen dabei fast ver­ges­sen, dass man sich hier doch in der Wild­nis befin­det. Warn­schil­der mit Abbil­dun­gen von Eis­bä­ren und Geweh­re am Rücken wir­ken dabei anfangs häu­fig irgend­wie befremd­lich, haben aber durch­aus ihre Berech­ti­gung – nicht umsonst geht es nur sicher­heits­tech­nisch unter­rich­tet nach drau­ßen, um für alle Even­tua­li­tä­ten gerüs­tet zu sein.

Eis­bä­ren tref­fen wir auf unse­ren Aus­flü­gen zu den Glet­schern glück­li­cher­wei­se kei­ne. Nur einer lässt sich wäh­rend des Früh­stücks in der Nähe von Ny-Alesund bli­cken. Statt­des­sen fin­det der regel­mä­ßi­ge Kon­takt mit Ren­tie­ren und leicht aggres­si­ven Vögeln statt, die sich prak­tisch täg­lich laut­hals auf unse­re Köp­fe herabstürzen.

Auf unse­ren Rou­ten zu den zwei Haupt­stand­or­ten unse­rer Feld­ar­beit (Midt­re Lovén­breen & Ves­t­re Brog­ger­breen) begeg­nen wir aber nicht nur aller­lei Flo­ra und Fau­na, son­dern auch einer über­ra­schend gro­ßen Anzahl an Plas­tik. Was als For­schungs­idee begann, ent­wi­ckel­te sich so schnell in eine Clean-Up Akti­on mit dem wis­sen­schaft­li­chen Hin­ter­grund 1. Plas­tik rund um Ny-Alesund und sei­ne Glet­scher zu qua­li­fi­zie­ren und 2. Hin­wei­se auf Biofilm-Bildung und Antibiotika-Resistenzen auf dem gefun­de­nen Plas­tik­müll zu suchen. Wie so oft in unse­rer For­schung schla­gen dabei zwei Her­zen in unse­rer Brust. Es freut einen, inter­es­san­te Din­ge für die geplan­ten Stu­di­en zu fin­den, aber noch viel mehr ist man eigent­lich erschro­cken dar­über, dass Umwelt­pro­ble­me wie die Plas­tik­ver­schmut­zung sicht­bar(!) an solch abge­le­ge­nen Orten ange­kom­men sind.

Laborarbeit bei 79° Nord

Wäh­rend die Bepro­bung von Schnee, Eis, Schmelz­was­ser und Plas­tik an sol­chen Orten schon eine Her­aus­for­de­rung für sich dar­stellt (man ist vor allem in der Tra­ge­ka­pa­zi­tät irgend­wann ein­fach limi­tiert), so ist es damit noch lan­ge nicht getan. Ein gro­ßer Teil unse­rer Arbeit fin­det zumeist in den Labo­ren der Uni­ver­si­tät Inns­bruck statt. Gan­ze Eis­ker­ne und vor allem in die­sen Men­gen, gefro­ren nach Öster­reich zurück­zu­schi­cken dürf­te aller­dings ein Ding der Unmög­lich­keit sein (wenn schon nicht tech­nisch, dann zumin­dest finan­zi­ell). Um das zu umge­hen, wird Schnee, und Eis geschmol­zen und je nach wei­te­rem Anwen­dungs­zweck abfil­triert – das kann bei Poren­grö­ßen von 0,2 um selbst mit Vaku­um schon ein­mal bis in die Nacht hin­ein dau­ern. Jedoch: Bei­ne und Rücken sind dank­bar für die­se Pau­sen und bei dem Aus­blick aus dem Labor ist sogar die­se Arbeit irgend­wie kurzweilig.

Die Fil­ter wer­den anschlie­ßend beschrif­tet, tief­ge­fro­ren und schluss­end­lich mit nach Hau­se genom­men, wo sie dann im Ide­al­fall schnellst­mög­lich bei ‑20 oder ‑80 °C bis zur Wei­ter­ver­wen­dung gela­gert wer­den. Im Fal­le einer direkt ange­ord­ne­ten behörd­li­chen Qua­ran­tä­ne bei Ankunft (dan­ke Covid) muss halt zwi­schen­zeit­lich die gefro­re­ne Lasa­gne aus der pri­va­ten Tief­kühl­tru­he wei­chen, um den Pro­ben Platz zu machen.

Abschied von einer anderen Welt

Die Zeit ver­fliegt, auch wenn man auf­grund von 24 Stun­den Tages­licht irgend­wie immer das Gefühl hat, man könn­te selbst spät in der Nacht noch die Welt zer­rei­ßen. Auch am letz­ten Abend ist ans Schla­fen­ge­hen kaum zu den­ken. Zum einen, weil doch noch eine Men­ge orga­ni­sa­to­ri­scher und logis­ti­scher Arbeit ansteht und einem selbst um 1 Uhr in der Früh noch das ver­trau­te Sum­men der Pum­pe der Fil­trier­an­la­ge ent­ge­gen­schlägt. Zum ande­ren, weil man irgend­wie schon jetzt weh­mü­tig wird. Zu auf­re­gend … zu unter­schied­lich ist die­se Welt hier oben, als dass sie einen wirk­lich los­lässt. Und so neh­men wir uns trotz lan­ger Tage, kur­zer Näch­te und ange­stau­tem Schlaf­man­gel noch ein­mal ger­ne die Zeit für ein letz­tes gemein­sa­mes Glas in der Mit­ter­nachts­son­ne von Ny-Alesund (die erprob­ter­wei­se auch zu Son­nen­brän­den füh­ren kann!).

Der letz­te Mor­gen beginnt wie immer mit einem fan­tas­ti­schen Früh­stück der groß­ar­ti­gen Crew von Kings-Bay, die die­se For­schungs­rei­se wirk­lich zu einer Luxus-Expedition wer­den las­sen, bevor unser Team dann noch zu einer letz­ten Plastik-Beprobung in Ny-Alesund auf­bricht – der Abschluss unse­rer erfolg­rei­chen Feld­ar­beit in Spitzbergen.

Bald gibt es wie­der Mobil­funk, prak­tisch unbe­schränk­ten Inter­net­zu­gang und Co. und es braucht tat­säch­lich eini­ges an Über­win­dung, das Tele­fon nach gut zwei Wochen aus dem Flug­mo­dus zu holen. Fast als wäre die­ser die letz­te Gren­ze, die einen von der hek­ti­schen Welt „dort drau­ßen“ trennt. Irgend­wie ist die­ser Moment, in dem man die­sen Knopf drückt, mit dem Auf­wa­chen aus einem Traum ver­gleich­bar. Eigent­lich möch­te man noch lie­gen blei­ben und ein wenig wei­ter träu­men, aber in Wahr­heit freut man sich auch auf alles, was dort drau­ßen vor einem liegt — inkl. hof­fent­lich inter­es­san­ter Erkennt­nis­se aus der eige­nen For­schung an einem der schöns­ten Fle­cken der Erde. Mit einem Lächeln im Gesicht betritt man schluss­end­lich das Flug­zeug zurück in die Zivilisation.

Dan­ke Sval­bard, dan­ke Ny-Alesund! Wir sehen uns bestimmt wieder! 

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