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Halicin — Neue Antibiotika dank Künstlicher Intelligenz?

Neue Antibiotika dank Künstlicher Intelligenz

Die Nadel im Heuhaufen

Neue Anti­bio­ti­ka zu ent­de­cken gestal­tet sich als lang­wie­ri­ge, umständ­li­che, zeit­in­ten­si­ve und meist wenig erfolg­rei­che Auf­ga­be. War­um? Ganz ein­fach, die übli­chen Metho­den las­sen kei­ne Schnell­su­che zu. Die­se detek­ti­vi­sche Auf­ga­be ver­langt nach dem Besten.

Sherlock Holmes

Klas­si­sche Scree­ning-Ansät­ze bei­spiels­wei­se basie­ren auf der Kul­ti­vie­rung von Umwelt­bak­te­ri­en (was sich an sich schon schwie­rig gestal­tet, da im Labor 99% der Bak­te­ri­en schon ein­mal gar nicht wach­sen). Gelingt es mit auf­wen­di­gen Metho­den neue Mikro­or­ga­nis­men zu iso­lie­ren, wer­den die­se oder deren iso­lier­te Stoff­wech­sel­pro­duk­te — ähn­lich wie 1928 bei Alex­an­der Fle­ming (nur beab­sich­tigt und unter ste­ri­len Bedin­gun­gen) — auf eine mit ande­ren Bak­te­ri­en über­wach­se­ne Petri­scha­le gege­ben. Gibt es Regio­nen, in denen die­ser “Bak­te­ri­en­ra­sen” Löcher zeigt, so liegt eine anti­bio­ti­sche Akti­vi­tät vor. So weit, so gut — nur ungüns­tig, dass man meist schon bekann­te Sub­stan­zen wie­der entdeckt…

Moderner Ansatz: Datenbank 

Etwas neu­mo­di­scher sind schon Ansät­ze diver­se Daten­ban­ken nach Bau­plä­nen zu durch­su­chen, die bekann­ten Anti­bio­ti­ka ähneln. Der Nach­teil an der Sache? Es gibt ver­dammt vie­le Daten­ban­ken und die sind gefüllt mit noch viel mehr Bau­plä­nen. Da zieht sich ein Pro­zess der ein­fach klingt ger­ne auch mal über Jah­re hin.

Halicin

Sher­lock, Konzentration…

Halicin

Und am Ende müs­sen die weni­gen gefun­de­nen Sub­stan­zen erst noch ihre Wirk­sam­keit unter Beweis stel­len. Als wäre das noch nicht genug, stellt sich dann außer­dem immer noch die Fra­ge nach Neben­ef­fek­ten bei der Anwen­dung am/im Pati­en­ten. Sisy­phos lässt grüßen.

Sisyphos-Arbeit

Neue Antibiotika dank Künstlicher Intelligenz

Tech­ni­sche Errun­gen­schaf­ten, Com­pu­ter und ins­be­son­de­re die soge­nann­te Arti­fi­ci­al Intel­li­gence (AI) oder Künst­li­che Intel­li­genz (KI) sind schon seit gerau­mer Zeit ein Werk­zeug, das wir ger­ne ver­wen­den, wenn unse­re haus­ei­ge­ne Rechen­leis­tung nicht ausreicht. 

Halicin

Das wird schon noch Sherlock.

War­um also nicht den Maschi­nen unse­re Arbeit über­tra­gen? Ein For­scher­team aus Eng­land hat genau das gemacht. Infor­ma­ti­ker und Bio­lo­gen haben zusam­men eine AI ent­wi­ckelt und die­se mit bekann­ten anti­bak­te­ri­ell wirk­sa­men Struk­tu­ren gefüt­tert und zwar so lan­ge, bis die Künst­li­che Intel­li­genz selbst zwi­schen anti­bio­tisch wirk­sa­men und unwirk­sa­men Sub­stan­zen unter­schei­den konn­te. Dazu brauch­te es ca. 2000 che­mi­sche Bau­plä­ne. Nach die­sem Grund­lehr­gang war die AI dann bereit, die anti­bio­ti­sche Wirk­sam­keit von bekann­ten che­mi­schen Struk­tu­ren vor­her­zu­sa­gen. Die dar­auf fol­gen­den gescre­en­ten ~11 000 Sub­stan­zen konn­ten so auf ca. 89 viel­ver­spre­chen­de redu­ziert wer­den (1). Kaum vor­zu­stel­len wie viel Zeit und vor allem Ner­ven das einen ein­zel­nen Men­schen oder auch eine Grup­pe von For­schern gekos­tet hätte.

Halicin

Unter die­sen 89 Sub­stan­zen befin­det sich mit Hali­cin ein auf den ers­ten (und zwei­ten) Blick äußerst poten­tes neu­es Anti­bio­ti­kum, das dank Künst­li­cher Intel­li­genz ver­gleichs­wei­se schnell gefun­den wur­de. Ursprüng­lich als Medi­ka­ment gegen Dia­be­tes ent­wi­ckelt (und dabei geschei­tert) ergibt sich nun eine zwei­te Chan­ce für die­sen Stoff. Ers­te Ver­su­che im Labor und an Mäu­sen las­sen jeden­falls hof­fen. Hali­cin zeigt eine bak­te­ri­zi­de (also Bak­te­ri­en-abtö­ten­de) Wir­kung gegen eine Viel­zahl an rele­van­ten Krank­heits­er­re­gern (2). So auch gegen Aci­n­et­o­bac­ter bau­ma­nii, einen pan-resis­ten­ten Keim aus der Grup­pe der ESKAPE Bak­te­ri­en

multi-resistenz

Und noch etwas lässt Hali­cin als bei­nah kit­schig gut geeig­ne­tes Anti­bio­ti­kum daste­hen. Ein völ­lig neu­er Wirk­me­cha­nis­mus, näm­lich das Hem­men einer funk­tio­nie­ren­den Pro­to­nen­schicht um die Zel­le (= gela­de­ne Schicht um Zel­le, wel­che zur Ener­gie­pro­duk­ti­on not­wen­dig ist), führt dazu, dass sich extrem sel­ten neue Resis­ten­zen ent­wi­ckeln. So konn­te je nach Kul­tur­me­di­um nach 7 bzw. 30 Tagen noch kei­ne Resis­tenz fest­ge­stellt wer­den. Bei den meis­ten ande­ren Anti­bio­ti­ka geschieht dies häu­fig deut­lich schnel­ler (sie­he die­ses Video (3)).

Halicin — Ein potentes Antibiotikum dank Künstlicher Intelligenz

Neue Anti­bio­ti­ka dank künst­li­cher Intel­li­genz sind seit kur­zem kein Sci­ence-Fic­tion mehr wie Hali­cin ein­drucks­voll unter Beweis stellt. Auch wenn sich das Pro­blem kei­nes­wegs aus­schließ­lich auf die Suche nach neu­en Anti­bio­ti­ka begrenzt, so hebt der Ein­satz tech­ni­scher Hilfs­mit­tel zumin­dest die Ent­de­ckung neu­er Sub­stan­zen auf eine neue Ebe­ne. Ins­be­son­de­re auch der durch die­se Metho­de deut­lich attrak­ti­ve­re Kos­ten-Nut­zen Fak­tor im Ver­gleich zu her­kömm­li­chen Scree­ning-Metho­den könn­te dazu füh­ren, dass in Zukunft wie­der ver­mehrt in die Ent­wick­lung neu­er anti­bak­te­ri­el­ler Medi­ka­men­te inves­tiert wird.

Zeit den Hut abzu­ge­ben Sherlock…

Halicin

Quel­len

(1) Sto­kes JM, Yang K, Swan­son K, Jin W, Cubil­los-Ruiz A, Donghia NM, MacN­air CR, French S, Car­frae LA, Bloom-Acker­mann Z, Tran VM, Chiap­pi­no-Pepe A, Badran AH, Andrews IW, Cho­ry EJ, Church GM, Brown ED, Jaak­ko­la TS, Bar­zi­lay R, Coll­ins JJ. A Deep Lear­ning Approach to Anti­bio­tic Dis­co­very. Cell. 2020 Feb 20;180(4):688–702.e13. doi: 10.1016/j.cell.2020.01.021. Erra­tum in: Cell. 2020 Apr 16;181(2):475–483. PMID: 32084340; PMCID: PMC8349178.

(2) Booq RY, Taw­fik EA, Alfas­sam HA, Alfa­had AJ, Aly­ama­ni EJ. Assess­ment of the Anti­bac­te­ri­al Effi­ca­cy of Hali­cin against Patho­ge­nic Bac­te­ria. Anti­bio­tics (Basel). 2021 Dec 2;10(12):1480. doi: 10.3390/antibiotics10121480. PMID: 34943692; PMCID: PMC8698312.

(3) Baym M, Lie­ber­man TD, Kel­sic ED, Chait R, Gross R, Yelin I, Kisho­ny R. Spa­tio­tem­po­ral micro­bi­al evo­lu­ti­on on anti­bio­tic land­scapes. Sci­ence. 2016 Sep 9;353(6304):1147–51. doi: 10.1126/science.aag0822 . PMID: 27609891 ; PMCID: PMC5534434. 

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