Intrinsische Antibiotika Resistenz im Klartext
Ohne sich jetzt großartig mit Herkunft oder Definition des Wortes intrinsisch zu befassen, wollen wir nun in die Welt der mikrobiellen Anpassung eintauchen. Im Speziellen befassen sich die nächsten Zeilen mit den Bakterien und ihrer (natürlichen) Toleranz gegenüber antibiotisch wirksamen Substanzen.
Es ist mittlerweile seit einiger Zeit bekannt, dass einige mikrobielle Vertreter dazu in der Lage sind, durch den unsachgemäßen humanen Gebrauch von Antibiotika eine gewisse Resistenz gegen antibakterielle Stoffe zu entwickeln. Bei der sogenannten intrinsischen Antibiotika-Resistenz handelt es sich allerdings um die von Bakterien auf natürliche Art und Weise (also ohne menschliches Zutun) erworbene Fähigkeit toxische Konzentrationen antimikrobieller Substanzen zu tolerieren.
Dass Antibiotika-Resistenzen ein rein anthropogen verursachtes Problem sind, ist ein weit verbreiteter Irrglaube. Tatsächlich ist die (mikrobielle) Welt um einiges komplexer und der irrtümliche oder falsche Gebrauch von Antibiotika durch uns Menschen stellt viel mehr eine zusätzliche externe Beschleunigungsquelle für die natürlich stattfindende Anpassung der Mikroorganismen an ihre Umwelt dar. Kurz gesagt: Wir sind keineswegs allein an dem Problem schuld — erhöhen aber durch unseren Umgang mit diesen Stoffen den selektiven Druck auf die mikrobielle Welt und beschleunigen damit natürliche evolutive Prozesse. Wir verschlimmern also das Problem.
Die Macht der Anpassung
Um zu verstehen, woher Bakterien ihre Resistenz gegenüber bestimmten Antibiotika haben, muss man sich zuallererst mit der Herkunft antibiotischer Substanzen auseinandersetzen. Tatsächlich stammt der Großteil der heute medizinisch relevanten antibakteriellen Stoffe aus der natürlichen Umwelt — im Speziellen aus Bodenmikroorganismen (1). Bereits Alexander Fleming hatte 1928 (per Zufall) entdeckt, dass Schimmelpilze der Gattung Penicillium (hier mehr über den Bewohner natürlicher Böden erfahren) eine wachstumshemmende Wirkung auf bestimmte Bakterienarten haben. Und auch wenn Antibiotika heute im großen Stil in Bioreaktoren hergestellt werden und die Synthese teils auch komplett ohne Mikroorganismen abläuft, so basieren die allermeisten Substanzen auf einem Vorbild aus der Natur.
Fun-Fact: Antibiotische Stoffe erfüllen in der Natur nicht nur den Zweck, sich einen Vorteil gegenüber konkurrierenden Arten zu verschaffen. Stattdessen gibt es auch Hinweise darauf, dass bestimmte Moleküle wohl auch in der Kommunikation zwischen Mikroorganismen eine entscheidende Rolle spielen (2).
Wir wollen nun aber ein wenig in die Evolutionstheorie eintauchen, bevor wir das Puzzle endgültig zusammensetzen: Charles Darwin prägte Begriffe wie “Co-Evolution”, “natürliche Auslese (Selektion)” und ergänzend dazu “Survival of the Fittest”. Dabei geht es im Prinzip immer um das Eine: das Überleben der am besten angepassten Individuen. Umgemünzt auf die hier besprochenen Bakterien bedeutet dies, dass nur jene Organismen in einer toxischen Umwelt überleben können, die daran adaptiert sind. Dies sind zum einen die Antibiotika-Produzenten selbst (wär ja auch echt selten dämlich das eigene Wachstum zu hemmen oder?) — zum anderen Organismen, die im Laufe der Zeit spezifische (oder unspezifische) Verteidigungsmechanismen entwickelt haben.
Diese gegenseitige Anpassung bzw. Weiterentwicklung von Organismen beschreibt die “Red-Queen-Theory” besonders anschaulich — abgeleitet von den Worten der “Roten Königin” in den Romanen “Alice im Wunderland/Alice hinter den Spiegeln”. Das Zitat “Hierzulande musst du so schnell rennen wie du kannst, wenn du am gleichen Fleck bleiben willst” hat den Biologen Leigh van Valen dazu veranlasst die Hypothese aufzustellen, dass Tiere, Pflanzen und natürlich auch Mikroorganismen einem stetigen evolutionärem Druck ausgesetzt sind. Sie müssen sich im Wettlauf mit ihren Nachbarn kontinuierlich weiterentwickeln, um ihre ökologische Nische zu erhalten.
Kurz gesagt — wer stehen bleibt fällt, der natürlichen Selektion zum Opfer. Die Natur kennt da einfach keine Kompromisse.
Beispiele Intrinsischer Antibiotika Resistenz
Bis hierhin haben wir schon einiges über intrinsische Resistenzen in Erfahrung bringen können. Zeit sich also ein paar realen Beispielen zu widmen, um ein Gefühl für die Vielfältigkeit natürlicher mikrobieller Anpassungen gegen schädliche Antibiotika-Konzentrationen zu bekommen.
Zuallererst stellen wir uns dazu vor, dass unser Keller von einer Überschwemmung bedroht wird. Der Keller stellt dabei das Synonym zur bakteriellen Zelle dar, wohingegen das Wasser — der ungewünschte Eindringling — die toxische Substanz symbolisieren soll. Welche Möglichkeiten gibt es, um Schäden zu verhindern?
Der erste Griff würde vermutlich zu Sandsäcken gehen — wir bauen uns also eine zusätzliche Schutzschicht. Ganz ähnlich agieren auch einige Bakterien als Abwehrreaktion auf einige Antibiotika. Sie machen ihre Zellwand undurchlässig für die toxische Substanz. Simpel, aber effektiv, wenn das Ziel des schädlichen Stoffes im Zellinneren liegt.
Gehen wir aber davon aus, wir haben zu spät reagiert und unser Keller ist bereits mit Wasser vollgelaufen. Welche Möglichkeiten haben wir dann?
Wir könnten beispielsweise wertvolle Dinge wegräumen und somit vor dem Kontakt mit dem Wasser schützen. Auf Bakterien umgemünzt bedeutet dies, das Angriffsziel vor dem Antibiotikum zu “verstecken” oder die Struktur so zu verändern, dass es nicht mehr erkannt wird.
Eine weitere einfache, aber sehr effektive Variante, um den Eindringling (in unserem Fall das Wasser) loszuwerden, wäre der Einsatz einer ordentlichen Pumpe (zur Not tut es vielleicht auch die Schaufel). Bakterien besitzen häufig eine Vielzahl sogenannter Efflux-Pumpen, welche anhand einfacher Systeme dazu in der Lage sind, ungewünschte Stoffe aus der Zelle zu entfernen.
Gehen wir aber nun davon aus, dass wir viel zu spät reagiert haben, unser Keller bereits bis obenhin mit Wasser vollgelaufen ist und selbst die beste Pumpe nichts mehr hilft? In diesem Fall sind wir entgegen dem Prinzip der “Roten Königen” — sinnbildlich gesprochen — einfach stehen geblieben. Wir wissen was das bedeutet… Schade um den schönen Keller…
Trotz des tragischen Verlusts des Kellers dürfte klar sein: Die bakterielle Zelle verfügt über eine Vielzahl an einfachen “natürlichen” Abwehrmechanismen, um sich gegen bestimmte Substanzen zu wehren (und die Liste ist definitiv nicht vollständig). Und dazu ist noch nicht einmal der externe selektive Druck durch den unsachgemäßen Antibiotika-Gebrauch von uns Menschen notwendig.
Natur > Mensch
Die Annahme, dass sich Antibiotika-Resistenzen nur wegen uns Menschen entwickelt haben, ist also schlichtweg falsch. Vielleicht gründet auch sie, wie so viele andere Dinge, darin, dass der Mensch sich zu oft selbst in den Mittelpunkt des Universums stellt — wortwörtlich. Zu lernen, dass die Natur viele Prozesse von alleine regelt und definitiv nicht alles von und durch uns geformt, geschweige denn kontrolliert werden kann, ist sicherlich ein wichtiger Schritt, der gegangen werden muss, um Antibiotika-Resistenzen zu verstehen und langfristig in medizinisch relevanten Bereichen zu verhindern. Denn einer Sachen müssen wir uns wieder bewusst werden: Eigentlich sind wir unserem Planeten und seinen mikrobiellen Vertretern egal. Sie waren schon vor uns hier und werden mit hoher Wahrscheinlichkeit auch uns überdauern. Die Natur ist nun einmal größer als der Mensch — auch im vermeintlichen Anthropozän.
Quellen
(1) Nesme J, Simonet P. The soil resistome: a critical review on antibiotic resistance origins, ecology and dissemination potential in telluric bacteria. Environ Microbiol. 2015 Apr;17(4):913–30. doi: 10.1111/1462–2920.12631 . Epub 2014 Dec 17. PMID: 25286745 .
(2) Fajardo A, Martínez-Martín N, Mercadillo M, Galán JC, Ghysels B, Matthijs S, Cornelis P, Wiehlmann L, Tümmler B, Baquero F, Martínez JL. The neglected intrinsic resistome of bacterial pathogens. PLoS One. 2008 Feb 20;3(2):e1619. doi: 10.1371/journal.pone.0001619. PMID: 18286176; PMCID: PMC2238818.