Freund oder Feind?
Sind Antibiotika-Resistenzgene böse? Die Antwort darauf ist ein klares “nein”. Zwar behindern sie – und das ganz gewaltig – die erfolgreiche Behandlung von Infektionskrankheiten, allerdings sind sie aus neutraler Sicht betrachtet ein Produkt der Natur — genauer gesagt der Evolution. Auch wenn wir zum Teil kräftig zur Entstehung und Verbreitung neuer Resistenzen beitragen, so sollten wir uns daran erinnern, dass es Antibiotika-Resistenzen bereits lange vor der Entdeckung des Penicillins gab (Nicht gewusst? Schnell hier nachlesen!). Auch setzen sich diese Gene kaum durch, weil die Bakterien schlichtweg diabolisch sind und heimlich Pläne zur Unterjochung der Menschheit schmieden. Stattdessen sind sie vielmehr Schutzmechanismen, die ihr eigenes Überleben sichern.
OK — gerade Krankheitserreger müssten jetzt nicht unbedingt derart gut geschützt sein, aber daran sind wir auch ein bisschen selbst schuld.
NDM‑1
Antibiotika-Resistenzgene gibt es wie Sand am Meer. So wurden beispielsweise mehr als 6000 (!) Resistenzgene im menschlichen Darm-Mikrobiom gefunden (Ruppé et al. 2018). Wer sich einen Überblick über die unglaubliche Zahl an bekannten Resistenzmechanismen verschaffen will, dem sei die internationale Datenbank Card ans Herz gelegt.
Die enorme Anzahl an Antibiotika-Resistenz vermittelnden DNA-Fragmenten macht es umso schwieriger ein bestimmtes herauszupicken und genauer unter die Lupe zu nehmen… wir machen das aber trotzdem. Die Wahl fällt dabei auf NDM‑1 oder noch klingender: New-Delhi metallo-beta-lactamase 1.
Warum nun also ausgerechnet dieses Gen? Widmen wir uns kurz seiner Geschichte. Erst 2008 im namens-gebenden Indien entdeckt, wurde es mittlerweile in über 70 Ländern der Welt nachgewiesen – und in der Arktis (zwar in der Nähe einer indischen Forschungsstation, aber trotzdem in der Arktis!).
Mal ganz abgesehen von der bereits stattfindenden Verbreitung von NDM‑1 macht es doch eine Eigenschaft besonders problematisch. Die New-Delhi metallo-beta-lactamase 1 vermittelt nämlich eine sogenannte Multi-Resistenz.
Tatsächlich sind beinahe alle Beta-Laktam-Antibiotika gegen Bakterien mit diesem Gen wirkungslos. Dazu zählen Substanzen wie Penicillin, aber auch die Gruppe der Carbapeneme, welche zu den “stärksten” uns bekannten Waffen gegenüber Infektionskrankheiten darstellen. Sie gelten allgemein als “letzte Option” für viele bakterielle Infekte.
Und wir?
Wir haben schon in den ersten Zeilen gelernt: Antibiotika-Resistenzgene sind nicht per se böse (auch wenn das zugegebenermaßen nach dem restlichen Beitrag schwer zu glauben scheint). Da aber auch wir den Prozessen der natürlichen Evolution unterliegen, wird die Menschheit (hoffentlich!?) kaum einfach abwarten und Tee trinken.
Stand jetzt sind die einzigen Maßnahmen, die wir ergreifen können, um die Ausbreitung von NDM‑1 zu verhindern, “Überwachung”, “Isolierung von infizierten Patienten”, “Händehygiene” und “Desinfektion von Gerätschaften und Orten, die mit der/dem Betroffenen in Kontakt waren”. Hand hoch, wer sich an die aktuellen Maßnahmen zur Eindämmung von Covid-19 erinnert fühlt…
Langfristig werden wir aber auch im Fall von NDM‑1 andere Lösungen brauchen. Und auch wenn dieses Gen ein Extrem darstellt, so ist es doch nur ein Gen von vielen, welches zu dem globalen Problem der Antibiotika-Resistenz beiträgt. Die Forschung zum besseren Verständnis bakterieller Abwehrmechanismen sowie zu alternativen Therapiemöglichkeiten muss definitiv stärker vorangetrieben werden als bisher, um das post-antibiotische Zeitalter zu vermeiden.