Von Pandemien und vergessenen Problemen
Während die Covid-19 Pandemie immer noch im Gange ist, rücken andere weltweite Probleme in den Hintergrund. Neben ohne Zweifel vorhandenen psychosozialen und ökonomischen Effekten sprechen Wissenschaftler vor allem davon, den Klimaschutz nicht zu vernachlässigen. Eine weitere globale Krise die seit Jahren schleichend voranschreitet eigentlich aber schon mit dem Rammbock an unsere Tür klopft, findet dabei eigentlich keine Beachtung mehr: Antibiotika-Resistenzen.
Dabei kümmert es sogenannte Super- und Krankenhauskeime gegen die unsere Medikamente nach und nach ihre Wirksamkeit verlieren herzlich wenig, dass wir gerade an anderen Fronten beschäftigt sind.
Nach Angaben des ECDC sterben allein an resistenten Krankheitserregern 35 000 Menschen jährlich (!) allein in Europa (1) — Tendenz steigend und die Jahre mit Corona bilden dabei keine Ausnahme.
Wobei… eine Ausnahme spielen die Jahre der Pandemie schon: es werden mehr Antibiotika prophylaktisch verabreicht und die Thematik der Antibiotika-Resistenzen erfährt praktisch keine Aufmerksamkeit (laut Google Trends).
Mehr Antibiotika-Therapien = mehr Antibiotika-Resistenzen
Die Rechnung ist einfach: je mehr Antibiotika wir verwenden, desto schneller entstehen Antibiotika-Resistenzen und die dazugehörigen schwer-behandelbaren multiresistenten Superkeime.
Tatsächlich bringt die aktuelle Corona-Pandemie aber mehrere Probleme mit sich. Da es sich hierbei um eine neuartige Krankheit handelt, gegen welche keine wirksamen Medikamente bestehen, kann jede weitere Komplikation eine zusätzliche Belastung für den Organismus darstellen, die es auf unbedingt zu vermeiden gilt.
Eine dieser Komplikationen sind sogenannte bakterielle Superinfektionen. Dabei machen sich die Bakterien zunutze, dass durch den viralen Effekt das Immunsystem ohnehin geschwächt ist. Laut einer groß angelegten Studie des PEW Charitable Trust (in Amerika… In Europa gibt es keine Referenz-Studie) wurden unter anderem wegen der Gefahr einer bakteriellen Superinfektion in 52 % der Fälle (bei Krankenhausaufenthalt) Antibiotika verabreicht (2). In ganzen 36 % der Fällen wurden sogar mehrere Antibiotika-Therapien mit verschiedenen antibakteriellen Substanzen verschrieben. Jedoch wurden nur in 20 % der Fälle tatsächlich eine bakterielle Pneumonie nachgewiesen. Die restlichen 80 % der Patienten bekamen eine antibakterielle Therapie, ohne je Kontakt mit einem bakteriellen Krankheitserreger gehabt zu haben.
Ohne darüber urteilen zu wollen geschweige denn zu können, ob der Einsatz von antibakteriellen Substanzen angebracht war oder nicht, so können die daraus resultierenden Konsequenzen doch weitreichender sein als es im ersten Moment den Anschein haben mag.
Ohne darüber urteilen zu wollen geschweige denn zu können, ob der Einsatz von antibakteriellen Substanzen angebracht war oder nicht, so können die daraus resultierenden Konsequenzen doch weitreichender sein als es im ersten Moment den Anschein haben mag.
Die Corona Pandemie: ein neuer Player im Kampf gegen Antibiotika-Resistenzen?
Auch wenn sogenannte intrinsische Resistenzen für einen Teil der Antibiotika-Resistenzen wie wir sie heute kennen verantwortlich sind, so treibt doch vor allem der Mensch durch den exzessiven Einsatz von antimikrobiellen Substanzen diese Entwicklung massiv voran. Schon kurz nach der ersten medizinischen Anwendung von Antibiotika entwickelten die Bakterien entsprechende Verteidigungsmechanismen was erneut zeigt: Die Natur lässt sich nicht so leicht unterdrücken. Als Reaktion auf die entstehenden Superkeime gibt es mittlerweile einige Empfehlungen der WHO, die unter anderem auch darauf abzielen, den Einsatz von Antibiotika zu reduzieren — besonders wenn dieser präventiv erfolgt.
Das Problem an der aktuellen COVID-19 Pandemie ist (und war vor allem zu Beginn), der Wissensstand über die Infektionskrankheit selbst. So war es beispielsweise besonders anfangs praktisch unmöglich eine bakterielle Pneumonie von einer Lungeninfektion durch Coronaviren zu unterscheiden. Und auch wie Patienten auf bakterielle Superinfektionen reagieren würden war kaum abzusehen, was einen großen Teil der präventiv Verschreibungen von Antibiotika-Therapien erklären dürfte.
Nichtsdestotrotz zieht jedes Handeln seine Konsequenzen nach sich. Wenn ein erhöhter Antibiotika-Einsatz zur vermehrten Bildung von Antibiotika-Resistenzen führt, dann wird die Natur auch keine Ausnahme machen, weil wir uns in einer Ausnahmesituation befinden.
Dieser Anstieg an resistenten Bakterien muss dabei nicht unbedingt sofort feststellbar sein — er bringt uns aber unbestritten einen Schritt näher an eine post-antibiotische Zeit.
Eine post-antibiotische Ära
Nein, eine Covid-19 wird sehr wahrscheinlich nicht direkt eine post-antibiotische Ära einleiten geschweige denn hauptverantwortlich für diese sein. Sie wird aber höchstwahrscheinlich ihre Position als Rädchen in dem großen Ganzen einnehmen — insbesondere dann, wenn Länder außerhalb von Amerika ähnliche Therapieansätze verfolgt haben.
Eine post-antibiotische Ära gilt es jedoch unter allen erdenklichen Umständen zu vermeiden. Die Covid-19 Pandemie zeigt jedoch eindrucksvoll wie schnell gute Vorsätze verworfen werden können, ohne über die weitreichenden Konsequenzen nachzudenken. Und so kann Corona dazu beitragen, dass unsere Antibiotika weiter an Wirksamkeit verlieren.
References
(1) https://www.ecdc.europa.eu/en/news-events/eaad-2022-launch
(2) https://www.pewtrusts.org/en/research-and-analysis/issue-briefs/2021/03/could-efforts-to-fight-the-coronavirus-lead-to-overuse-of-antibiotics