Die Geschichte der Superkeime
Die Menschheit kämpft praktisch seit seinen ersten Schritten auf dieser Erde gegen bakterielle Infektionskrankheiten. Erst als Alexander Fleming 1928 mit der Entdeckung des Penicillins das Zeitalter der Antibiotika einläutete, gelang es nach und nach die weltweit häufigste Todesursache im Zaum zu halten. Heute sind wir so weit, dass das durchschnittliche Menschenleben alleine durch Antibiotika um ca. 10 Jahre verlängert wird. Klingt alles prima, nicht? Ja… Wäre da nicht dieses große “aber”. Ein “aber” namens Superkeime!
Ja, gibt es… denn wir sind auf dem Weg unseren Vorsprung zu verspielen!
Die Natur der Bakterien
Um zu verstehen, wie Bakterien Resistenzen gegen unsere Medikamente entwickeln, müssen wir zuerst die Natur dieser Mikroben verstehen. Bakterien sind überall. Tatsächlich sind sie derart erfolgreich, dass es praktisch keinen denkbaren (oder undenkbaren) Ort gibt, an dem diese Organismen nicht vorkommen. Das Besondere an den Bakterien ist ihre Teilungsfreudigkeit.
Haben sie einmal einen Ort gefunden, an dem sie sich zu Hause fühlen, können sie sich unheimlich schnell vervielfältigen. Aber das ist bei weitem nicht ihr einziges Talent. Denn Bakterien zeichnen sich besonders durch ihre Fähigkeit Gene miteinander zu teilen aus — eine Grundvoraussetzung für die Entstehung von Superkeimen.
Um der Sache nicht vorzugreifen, reden wir einen Moment über Gene. Gene definieren, wer wir sind — unsere Augenfarbe, unsere Körpergröße, unsere Haarfarbe… All diese Dinge werden (zumindest zu großen Teilen, Haare färben zählt nicht!) von unseren Genen — die wir von unseren Vorfahren erhalten haben — bestimmt. Dasselbe gilt auch für unsere mikroskopisch kleinen Freunde. So kommt es dass Bakterien Gene besitzen, die es ihnen erlauben in den abgefahrensten Orten zu überleben.
Und genauso können sie Gene besitzen, die sie resistent gegen ein oder mehrere Antibiotika machen. Wirklich interessant ist aber, dass zwar wir Menschen unser Leben lang an unser genetisches Gerüst gebunden sind, Bakterien aber eine gewisse Variabilität besitzen und neue Gene in sich aufnehmen können.
Im Prinzip, ja.
Superkeime und ihre Entstehung
Es gibt mehrere Möglichkeiten wie Bakterien an die entsprechenden Gene kommen, um sich beispielsweise eine Antibiotika-Resistenz anzueignen.
1. Sie nehmen Gene aus ihrer Umwelt in sich auf. Das geschieht meist dann, wenn Bakterien in ihrer Nähe sterben und ihren Zellinhalt in die Umgebung freisetzen — praktisch Grabraub.
2. Sie werden mit einem Virus infiziert, der zuerst ein anderes Bakterium infiziert hat. Ja, auch bei Bakterien gibt es so etwas wie die Grippe (siehe auch hier). Jedoch kann diese Infektion positive Effekte für ein Bakterium nach sich ziehen. Das kommt daher, dass ein Virus praktisch immer das in ihm vorhandene genetisches Material in die Wirtszelle injiziert. Unter Umständen hat dieser aber nach der Infektion des letzten Keims bakterielle Gene anstatt viraler in sich aufgenommen. Als Resultat infiziert das neue Virus das Bakterium nun nicht mit viralen Bestandteilen, sondern mit den Genen eines anderen Bakteriums. Diese Gene kann das Bakterium nun in seine DNA einbauen und dadurch langfristig davon profitieren.
3. Sie haben “Sex”. Auch Bakterien kommen sich aus anderen Gründen als der Vermehrung näher. Tatsächlich können sie über sogenannte “Pili” mit anderen Zellen (auch anderer Arten) Kontakt aufnehmen und über diese Brücke Gene weitergeben. Ein Mechanismus, der häufig zur Verbreitung von Antibiotika-Resistenzen führt.
4. Sie mutieren. Mutationen sind ja im Jahr 2021 in aller Munde, weshalb es niemanden mehr verwundern sollte, dass auch andere Mikroorganismen als Viren dazu in der Lage sind zu mutieren. Tatsächlich passieren während der Zellteilung des Bakteriums viele Mutationen. Allerdings sind die allermeisten dieser genetischen Veränderungen eher kontraproduktiv. Die wenigen jedoch, die Vorteile gegenüber anderen Organismen bringen, etablieren sich aus evolutiven Gründen und werden künftig bei der Zellteilung an die nächste Generation weitergegeben.
Vier Wege wie sich Bakterien von “einfachen” Mikroorganismen zu Superkeimen entwickeln können!
Superkeime und der Beitrag von uns Menschen zu ihrer Entstehung
Sind wir also geliefert? Nein — aber dazu müssen wir verstehen, was ein jeder Einzelne von uns dazu beiträgt, dass sich Antibiotika-Resistenzen ausbreiten und Superkeime entstehen.
Nehmen wir ein Beispiel aus dem Alltag, wie es die meisten von uns sicherlich schon einmal erlebt haben. Man fühlt sich krank, sucht freiwillig (oder unfreiwillig) einen Arzt auf und bekommt eine Antibiotika-Therapie verschrieben. Und siehe da — es hilft. Bereits nach wenigen Tagen bessern sich die Symptome so weit, dass man sich eventuell dazu entschließt die Antibiotika-Therapie zu beenden, und zwar bevor der Arzt dies empfohlen hat. So weit, so gut. Aber blicken wir einmal in unser Inneres.
Zuallererst müssen wir verstehen, dass es 1. in und auf uns nur so von Bakterien wimmelt (alleine in unserem Darm machen es sich 100 Billionen Keime gemütlich — die meisten davon sind wohlgemerkt nützlich für uns) und sich 2. Mikroorganismen sich immer dann teilen, wenn sich ihnen die Gelegenheit bietet. Besonders eifrige Vertreter verdoppeln sich so alle 20 Minuten!
Durch unsere Antibiotika-Therapie haben wir in unserem Darm einmal ordentlich aufgeräumt. Zwar war das Ziel des Antibiotikums in erster Linie der Störenfried, der sich zwischen die nützlichen Keime eingeschlichen hat, aber das ist dem antibakteriellen Wirkstoff gelinde gesagt “wurscht”. Das Gute an der Therapie aber: Wir haben vermutlich neben den ganzen Kollateralschäden den Großteil oder gar alle Eindringlinge beseitigt. Der Nachteil an der Sache, überlebt haben die Organismen, die entweder sehr viel Glück hatten oder die bereits eine Resistenz gegen das Antibiotikum besaßen. Das können wie gesagt völlig harmlose oder gar nützliche Bakterien sein — sie tragen nur eben ein Resistenzgen in sich. Der eine oder andere merkt vielleicht bereits worauf wir zusteuern. Unsere Darmbewohner inklusive ihrer Antibiotika-Resistenz haben kaum noch Konkurrenz, um den Lebensraum und nutzen die Gunst der Stunde, um sich massiv zu vervielfältigen. In unserem Darm wimmelt es nun also von Mikroorganismen mit entsprechendem Antibiotika-Resistenzgen. Wenn man nun 1 und 1 zusammenzählt wird schnell klar, dass die Wahrscheinlichkeit, dass dieses Gen weitergegeben wird (z.B. an den nächsten unerwünschten Eindringling), deutlich gestiegen ist — besonders, wenn man die einfachen Wege der Ausbreitung solcher Gene im Hinterkopf behält. Wir können also relativ einfach unseren eigenen Superkeim züchten — wenn man das den möchte.
Was zunächst alles wie Science-Fiction klingen mag, passiert täglich direkt vor unseren Augen. Ein unvorstellbar große Zahl an Mikroorganismen steht ständig im Austausch zueinander und kann sich über vergleichsweise einfache Wege weiterentwickeln. Auch Antibiotika-Resistenzen sind von dieser Entwicklung betroffen. Während es also aus wissenschaftlicher Sicht essenziell sein wird neue Mittel (wie z.B. Irresistin) zu entdecken, um potenzielle Erreger von Infektionskrankheiten im Zaum zu halten, können und müssen wir alle unseren Beitrag dazu leisten, dass vorhandene Antibiotika ihre Wirksamkeit möglichst lange behalten und Superkeime gar nicht erst entstehen.